33 Jahre Deutsche Einheit – Sonntagsreden reichen nicht als Anerkennung

Janina Böttger und Hendrik Lange

Erklärung zum 3. Oktober 2023 der Landesvorsitzenden Janina Böttger und Hendrik Lange:

Mit großer Zuversicht blickten die Ostdeutschen zumeist auf die Wiedervereinigung. Sie erwarteten, wie andere Bürgerinnen und Bürger auch, eigentlich Selbstverständliches in diesem gemeinsamen Land: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Ausbildungs- und Karrierechancen, Mitsprache und Repräsentanz, Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Renten, die im Alter ein würdevolles Leben sichern. Für zu viele in der DDR Geborene und Ostdeutsche sind diese Erwartungen bis heute nicht erfüllt. Vermögenswerte wie Immobilien, Boden und Betriebe gingen dauerhaft in den Besitz des Westens. Drohende Konkurrenz aus dem Osten wurde oftmals gleich mit plattgemacht. Die Bundesregierung hat mit der Treuhandpolitik wenige Private zu Gewinnern gemacht, dagegen die Kosten der Einheit auf die Allgemeinheit abgewälzt. 

Die ökonomische Übermacht des Westens hat den Osten auf Zweitklassigkeit gestellt. Dies ging Hand in Hand mit einem Elitenwechsel, der sich verfestigt und Ostdeutsche bis heute benachteiligt. Es braucht endlich mehr Ostdeutsche in Schlüsselfunktionen im ganzen Land und besonders in den ostdeutschen Ländern selbst. Es braucht sie, ihr Vorbild, auch ihren demokratischen Widerspruch. Nur wenn Ost- wie Westdeutsche, Migrantinnen und Migranten, Frauen und Männer zuversichtlich und interessiert auf ihre Möglichkeiten in unserem Land vertrauen, wird die liberale Demokratie wehrhaft sein.

Die Spezifik des Ostens ist Gegenwart, nicht nur Geschichtsprojekt. Niedriglöhne sind kein aus der DDR übernommenes Problem, sondern das Ergebnis der Lohn- und Arbeitsmarktpolitik nach 1990. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten arbeiten im Osten für Niedriglohn, gesamtdeutsch sind es ein Viertel der Beschäftigten. Auch für Fachkräfte und Tarifverträge im Osten gilt: Hier wird länger und für weniger Geld gearbeitet als am vergleichbaren Arbeitsplatz im Westen. Ebenso nicht aus der DDR geerbt sind Armutsrenten nach Zeiten von Erwerbslosigkeit und Niedriglohn.

Die Überleitung der vielfältigen Formen von Renten aus dem Versicherungssystem der DDR in das bundesdeutsche Recht war eine komplexe Aufgabe. Die dabei gemachten Fehler müssen behoben werden; einige Rentenansprüche aus der DDR wurden damals gestrichen oder gekürzt. Viele Gruppen sind betroffen: in der DDR geschiedene Frauen, Bergleute der Braunkohleveredlung, Krankenschwestern, Tänzerinnen und Tänzer, Angestellte bei der Post oder der Eisenbahn und andere mehr. Nun, nach 33 Jahren speist man die Allerwenigsten davon mit Almosen ab aus dem sogenannten Härtefallfonds des Bundes. Solange es keinen Gerechtigkeitsfonds gibt, der einem großen Teil der Menschen im Osten zugutekommt, wird es keinen Frieden bei den Betroffenen geben. Sonntagsreden reichen nicht zur Anerkennung von Lebensleistung.

Der nächste Umbruch in den Kohlerevieren ist im Gange. Derzeit werden Fördermittel in Milliardenhöhe für Industrieansiedlungen in den ostdeutschen Bundesländern zugesichert. Doch sind bisher keinerlei Bedingungen für die Qualität der Arbeitsplätze, den sparsamen Ressourcenverbrauch vor Ort oder regionale Wertschöpfung bekannt. Stattdessen schalten und walten wieder private Unternehmer und Konzerne im eigenen Profitinteresse. Wir sagen, öffentliche Gelder müssen an öffentliche Interessen gebunden sein, an gute Löhne und Mitbestimmung, an Klima- und an Umweltschutz. Der Strukturwandel Ost darf nicht wieder in Wild-West-Manier erfolgen. 

Das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen wächst. Wir brauchen starke Stimmen, die Erfahrung einbringen, Leistungen und Reflexion des Ostens stärken, und dies mit Zuversicht und Wertschätzung demokratischer Streitkultur verbinden. Eine neue Ostdebatte zeigt, der Bedarf an Sichtbarkeit, Eigensinn und Begegnung ist hoch.