Große Würfe für Sachsen-Anhalt – das will DIE LINKE auch in der Opposition

Birke Bull

Interview mit unserer Landesvorsitzenden Birke Bull in der »Volksstimme« über den Wahlkampf, die Mühen der Ebene in der Oppositionsarbeit und unverrückbare Grundsätze der LINKEN. (Interview von Steffen Honig)

Interview mit unserer Landesvorsitzenden Birke Bull in der »Volksstimme« über den Wahlkampf, die Mühen der Ebene in der Oppositionsarbeit und unverrückbare Grundsätze der LINKEN. (Interview von Steffen Honig)

Frau Bull, Sie sind seit vier Jahren Landesvorsitzende der Linkspartei. Macht Ihnen die Sache noch Spaß?

Birke Bull: (lacht) Man hat als Vorsitzende immer gute und weniger gute Zeiten. Spaß macht mir, wenn ich in die Kreisverbände fahre, vor Ort ein gutes Klima herrscht, man gewinnbringend diskutiert, ohne immer einer Meinung zu sein. Schwierige Zeiten liegen gerade hinter mir. Wir sind mit unserem Wahlergebnis selbstverständlich nicht zufrieden gewesen – da war viel Enttäuschung unterwegs. Man muss dann als Vorsitzende einerseits Kraft und Zuversicht geben und andererseits Raum für Nachdenklichkeit und Selbstkritik schaffen. Mein Saldo ist: Es waren sehr schöne, aber auch sehr anstrengende Zeiten. Und ich hab viel dazugelernt.

Was zum Beispiel?

Mit meinen eigenen politischen Positionen halte ich nicht hinterm Berg. Trotzdem ist es meine Aufgabe, zwischen unterschiedlichen Positionen zu vermitteln. Dazu ist immer eine Portion Grundwertschätzung gegenüber allen meinen Genossinnen und Genossen nötig. Das ist eine sehr wichtige Erfahrung für mich.

Sie werden politisch bei den Reformern in der Partei verortet. Ebenso wie einer der profiliertesten LINKEN, der sich als Vizelandtagspräsident in die zweite Reihe zurückgezogen hat: Wulf Gallert. Ist das eine personelle Schwächung dieses Flügels und der Partei?

Keineswegs. Wulf Gallert neigt nicht dazu, mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten, ganz gleich, in welchem Amt. Er wird weiter Impulse für die Auseinandersetzung geben, im besten Sinne für Zündstoff sorgen.

AfD nutzte Verunsicherung

Doch mangelt es der Partei an markanten Köpfen. Wer könnte die Lücken füllen?

Die Erfahrenen unter uns sind weiter an Bord. Darüber hinaus sind in den letzten Jahren eine Reihe interessanter neuer Köpfe hinzugekommen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der langjährige Betriebsrat Andreas Höppner bringt viel politische Bodenhaftung mit und wird sich nun als Wirtschaftspolitiker in der Landtagsfraktion profilieren. Da bin ich zuversichtlich. Ich wünsche mir aber vor allem noch mehr Frauen, die den Weg an die Spitze wagen.

Für den größten Verdruss bei den angestammten Parteien sorgte, dass es der Neuling AfD aus dem Stand heraus geschafft hat, in den Landtag einzuziehen. Warum?

Die AfD hat viel Verunsicherung für sich nutzbar machen können, mit alten Antworten auf die neuen Fragen: Wie geht Deutschland mit Zugewanderten um? Wie schaffen wir die Integration? Und sie konnte bedauerlicherweise ein Bedürfnis nach Empörung einfangen. Das speist sich aus Erfahrungen sozialer Ungerechtigkeit. Im Wahlkampf habe ich immer wieder gehört: Es fehlt Geld für die Kitas, um Eltern zu entlasten, für ausreichendes Lehrpersonal oder um kommunale Daseinsvorsorge zu sichern. Auch die Einkommen und die Renten in Ost und West sind noch immer nicht angeglichen!

Also Ventil für die geballte Empörung?

Die Leute beklagen: Nie war Geld da, aber nun, wenn Geflüchtete kommen, geht auf einmal alles? Den ersten Teil der Empörung finde ich berechtigt. Nur sind nicht die Geflüchteten Schuld, sondern der Politik fehlen Mut und Wille, Bestverdienende endlich in die Verantwortung zu nehmen, um die Verhältnisse gerechter zu machen.

Wie führen Sie die Auseinandersetzung mit der AfD?

Wir müssen uns politisch-inhaltlich auseinandersetzen. Man kann bei fremdenfeindlichen Sprüchen nicht mehr nur auf allgemeine Entrüstung setzen, sondern man muss das bessere Argument finden. Übereinkünfte, die man für gesichert hielt, müssen neu erstritten werden: im Landtag wie zu Hause mit dem Nachbarn, den Kollegen oder in der eigenen Familie. Man muss Flagge zeigen, und das erwarte ich auch von meiner Partei. Das erfordert Wissen und auch Mut, sich einzumischen. Der Anspruch, erst die Deutschen, dann die Zugewanderten, ist im Grunde egoistisch und menschenfeindlich. Mit sozialer Gerechtigkeit hat das nichts zu tun.

Mehr zuspitzen

Sie sagen, die Linkspartei muss frecher werden. Inwiefern?

Unser Wahlkampf war etwas staatstragend. Wir sollten stattdessen zugespitzter werden, mit einfacher Sprache, ohne zu versimpeln. Mit mehr Humor für unsere Ziele werben.

Was wollen Sie als Oppositionspartei in Sachsen-Anhalt erreichen?

Zunächst müssen wir uns mit den Strategien der Regierung auseinandersetzen. Wir haben einen Koalitionsvertrag durchaus mit Schritten in die richtige Richtung. Aber die Abkehr vom ruinösen Sparkurs der vergangenen Jahre muss auch tatsächlich stattfinden. Wir brauchen größere Würfe, so dass Leute merken, es verbessert sich was, und Lust bekommen, mitzumachen.

Woran denken Sie?

Der Personalabbau an den Schulen muss ein Ende haben. Gute inklusive Schule braucht ausreichend Pädagogen. Derzeit beginnen auch die vielen engagierten Lehrkräfte, zu resignieren. Die vergangenen Jahre haben einen Flurschaden hinterlassen. Ein Gefühl von Sicherheit gibt es nicht ohne ausreichend Polizisten vor Ort. Die Wirtschaftsförderung gehört reformiert: Junge Leute, gerade von der Uni gekommen, haben Ideen, sind bereit, Risiken zu tragen. Nicht selten fehlt das Geld. Sie brauchen Unterstützung und Risikokapital. Das könnte sich lohnen. Natürlich geht nicht alles auf einmal, aber Fortschritt muss spürbar sein.

In Sachsen-Anhalt regiert Reiner Haseloff in der zweiten Wahlperiode. Was erwarten Sie von ihm?

Er muss für Aufbruchstimmung sorgen und politische Initialzündungen setzen. Die zurückliegende Legislaturperiode verbinden die Leute mit überzogenem Sparen und Abbauszenarien. Davon haben sie die Nase voll. Die Landesregierung muss Wachstumskerne fördern, sich für ein weltoffenes Sachsen-Anhalt engagieren und den Gewinn daraus für alle spürbar werden lassen.

Inwieweit gehört DIE LINKE inzwischen zum politischen Establishment?

Wenn Sie damit meinen, dass man nicht mit dem Holzhammer daherkommt, sondern sich in die Mühen der Ebenen einbringt, Widersprüche zur Kenntnis nimmt – nicht alle Sachzwänge sind Pappkameraden –, dann kann man das so sagen. Das erwarten unsere Wähler auch von uns. Wichtig ist aber auch, uns wieder auf Schwerpunkte zu konzentrieren. Dazu zählt das Thema soziale Gerechtigkeit, dafür kennen und schätzen uns die Leute. Noch wichtiger ist: Wir müssen die großen gesellschaftlichen Fragen wieder mehr zum Thema machen. Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, der Abbau von Demokratie und Teilhabe, die finanzielle Not der Gemeinden. Ganze Regionen werden abgehängt – ländliche Gebiete oder sozial schwierige Stadtteile.

Wie sehr belastet Sie die Alterung der Linkspartei?

Die Mischung macht’s letztlich. Die älteren Mitglieder der Partei bieten viel Erfahrung und politische Gelassenheit. Die Linksjugend Solid ist zugespitzter und radikaler in ihren Positionen. Uns fehlen Frauen, deren Anteil ist im Sinkflug, ebenso wie die 40- bis über 50-Jährigen, die im Arbeitsleben stehen. Wir brauchen eine bessere Willkommenskultur für neue Mitglieder. Mit Angeboten, die sie bei ihren Interessen und Stärken packen.

Wo stehen wir beim zentralen Thema der vergangenen Monate, der Integrationspolitik?

Wir brauchen jetzt einen Masterplan. Dazu gehören Geld, Personal und andere Ressourcen. Hier darf man nicht knausern. Menschen, die bei uns bleiben wollen und können, müssen eine Chance haben, ihren Platz hier zu finden, die deutsche Sprache zu lernen, Arbeit zu finden. Wir brauchen vielfältige Begegnungen zwischen den Geflüchteten und den Einheimischen. Das sind die Schlüssel. Ich glaube, wir brauchen ein modernes Zuwanderungs- und Integrationsgesetz …

… das ist inzwischen beschlossen …

… ich wünsche mir einen linken Entwurf aus meiner Partei, einen, der auf Weltoffenheit setzt und nicht auf Abschottung. Jetzt müssen wir zeigen, wie wir uns Integration konkret vorstellen, wie es bezahlt werden soll, welche Rechte und Pflichten wir wie regeln wollen.

Gibt es da Einigkeit in der Bundespartei, nachdem auch Fraktionschefin Sahra Wagenknecht eine Begrenzung ins Spiel gebracht hatte?

Unseren Beschlüssen wie auch unserem Parteiprogramm hat auch Sahra Wagenknecht zugestimmt. Dennoch ist eine Partei keine homogene Masse. In den Basisorganisationen wird im Detail dann auch ordentlich gestritten. Letztlich – und da bin ich stolz auf meinen Laden – bleiben wir aber dabei: Soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Weltoffenheit sind für uns nicht verhandelbar.

Wie beurteilen Sie das aktuelle Verhältnis des reform-orientierten und des fundamentalistischen Flügels in der Partei?

Konsens ist bei uns ein strategisches Dreieck aus politischer Gestaltung, aus Protest, wo er notwendig ist, und aus Reform-alternativen, die über den Tag hinausreichen. Da gibt es bei dem einen oder der anderen unterschiedliche Gewichtungen. Aber das macht es ja gerade spannend, und es hält uns in der Balance zwischen den Feldern, in denen eine politische Partei unterwegs sein muss.

Gabriels Zick-Zack

Rot-Rot-Grün ist in Sachsen-Anhalt gescheitert, für das Mitte-Links-Bündnis sah es auch mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 lange düster aus. Nun hat SPD-Chef Sigmar Gabriel Bewegung in die Sache gebracht. Was halten Sie davon?

Zick-Zack-Kurse sind ja Gabriels zweiter Vorname. Ein Mitte-Links-Bündnis bleibt für uns selbstverständlich eine Option, auch wenn es keine Tagesaufgabe zu sein scheint. Wir wollen immer noch einen Politikwechsel. Der Gesprächsfaden zu SPD und Grünen ist immer ein Gewinn, auch im Land. Für noch wichtiger halte ich, an gemeinsamen Projekten zu arbeiten, auch wenn sie derzeit noch nicht umsetzbar sind. Ich finde, die Sozialdemokraten haben da immer noch wenig Hintern in der Hose. Die Grünen erlebe ich mutiger. Die Leute müssen letztlich wissen, was mit einem solchen Bündnis zu haben ist.

Ein Blick über Deutschland hinaus: Die EU ist durch den Brexit in eine noch tiefere Krise als ohnehin schon geraten. Was muss sich ändern in Europa?

Das Bröckeln der Europäischen Union ist ein Indiz, dass die Idee eines gemeinsamen Europas für viele Leute keine fesselnde war. Vielmehr wird es übersetzt als Bündnis, das sich vorwiegend um Markt und Wirtschaft kümmert und nationalen Egoismus fördert. Das ist vor allem beim Umgang mit Griechenland deutlich geworden. Mit diesem Gesicht Europas kann man nicht werben. Die EU braucht einen radikalen und überzeugenden Umbau.

Der wie folgt aussehen sollte?

Der Wettbewerb schneller, höher, weiter hat die Idee ruiniert. Es ist der Konstruktionsfehler der EU gewesen, sich lediglich auf Wirtschaft und Märkte zu konzentrieren, anstatt gemeinsame soziale Standards auszuhandeln und umzusetzen. Die Krise ist ein guter Zeitpunkt zum Umsteuern. Frieden, soziale Gerechtigkeit und Demokratie – und das für alle, die hier leben wollen. Das wäre die richtige Alternative.

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